Brevet – Vierhundert Kilometer 2014 – „Wir bleiben wach bis die Wolken wieder Lila sind!“

Auf ging es wieder. Die wilde Fahrt von Kontrolle zu Kontrolle durch die ländliche Gegend. Diesmal durch das von Reinald Grebe besungene Brandenburg.
Insgesamt vierhundert Kilometer in einem Zeitlimit von 27 Stunden. Also ein Drittel der Strecke von Paris-Brest-Paris. Zur Erinnerung: Die dreihundert Kilometer vor einem Monat hatte ich in 15 Stunden absolviert und somit gegen 22 Uhr das Ziel erreicht. Es ist somit klar, dass das bevorstehende Ende des 400er wohl am nächsten Tag sein würde, zumal ich mindestens zwei Stunden Pause eingeplant hatte, um das Pokalfinale im deutschen Fußball schauen zu können. Doch vorher zu planen, wo man gegen 20:00 Uhr sein wird, ist bei einem Brevet recht schwierig, da die Bedingungen nicht vorhersagbar sind.

Halb sechs in der Früh die Wohnung verlassen und über die Berliner Straßen zum Startpunkt. Und da war er schon, der erste Höhepunkt dieses Tages. Mein Rad und ich hatten die Straße des 17. Junis aufgrund des am nächsten Tag stattfindenden Velotons komplett für uns alleine. Alle Sinne auf Empfang und die Fahrt vom Brandenburger Tor zur Siegessäule genießen.

Angekommen am Startpunkt in Moabit und erfreut wieder die Gesichter der letzten Brevets wahrgenommen. Zwei Tassen Tee, ein paar lustige Anekdötchen und los ging es mit insgesamt 60 angemeldeten Randonneuren aufgeteilt in zwei Gruppen. Die Kontrollpunkte des 400ers waren Hennickendorf (Kilometer 54), Golssen(100), Beeskow (166), Kienitz (242), Angermünde (303), Liebenwalde (357), Berlin (402).

Ich glaube jeder war sich der bevorstehenden Anstrengung
bewusst. Vor allem des Wetters wegen. Es ging ab dem Kontrollpunkt Beeskow ca. hundert Kilometer nordwärts und es war Gegenwind der Stärke 3 angekündigt mit einzelnen Regenschauern. Dementsprechend gab es auf den ersten zweihundert Kilometern gut funktionierende Gruppen, die sich mithilfe des Rückenwinds zügig durch die Brandenburger Landschaft radelten.

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Den ersten Kontrollpunkt erreichte ich mit ca. 20 Leuten. Eine Landfleischerei! Kurz eingedeckt mit frischen Getränken und zwei Paar Wienern und weiter ging es bis zum nächsten Kontrollpunkt mit meinem treuen Weggefährten des letzten Brevets (Wolfgang) nach Golssen.

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Die fünfzig Kilometer waren wie das letzte Mal wieder lustig und geprägt von abwechselnder Führungsarbeit um Kräfte zu sparen. Lediglich die wilde, teilweise stark schlängelnde Radwegführung und die auf dem Weg befindlichen Tannenzapfen sorgten für Unterbrechungen des gut harmonisierenden Duos. Also immer schön an die StVO gehalten.

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Am zweiten Kontrollpunkt,einer Tankstelle, gab es dann für uns eine Pause von 15 Minuten. Tankstellen als Kontrollpunkt versprühen zwar keinen besonderen Charme für den gemeinen Brevetfahrer, doch liefern sie Ihm alles Notwendige um die Flüssigkeitsvorräte aufzufüllen und das ein oder andere belegte Brötchen zu sich zu nehmen. Kurz nach uns, fast gleichzeitig, kamen auch Andy und Mathew zum Kontrollpunkt und wir Vier setzten den Weg gemeinsam fort.

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Nach ein paar Kilometern holten wir den erfahrenen Randonneur und ehemaligen Organisator der Berlin-Brandenburgischen Brevets Ralf ein. Zudem kam von hinten ganz alleine der jetzige Mitorganisator Ingo an uns heran, sodass diese Sechsergruppe sich gemeinsam auf den Weg machte zum dritten Kontrollpunkt nach Beeskow (166 km). Es wechselten sich Plauderrunden mit zügigen Fahrtabschnitten. Gespräche über das Recherchieren der Strecken, zukünftigen Umzugsplänen von Randonneuren, Erzählungen von bereits durchgeführten privaten Langstreckenfahrten und die brandenburgische Landschaft machten diesen Abschnitt zum zweiten Höhepunkt des Tages.

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Ankommend in Beeskow stellte ich fest, dass ich super in der selbst gesetzten Zeit war, nämlich spätestens 20 Uhr in Angermünde (300 km) einzutreffen um den Anstoß und das Spiel mitzuerleben. Um diesen Vorsprung nicht zu gefährden, fiel die Pause an der Tankstelle etwas kürzer aus und ich machte mit Ingo und Ralf alleine auf den weiteren Weg.

Wir Drei leisteten abwechselnd Führungsarbeit über 50 km, doch dann mussten Ralf und ich dem extremen Gegenwind Tribut zollen und das Trio zerfiel leider. Ich musste sogar eine längere Pause in Seelow machen, doch zwei Erdbeerschnitten und einen doppelten Espresso entschädigten für die Anstrengungen im Wind zu fahren. Zudem hatte ich äußert nette Gesprächspartner am Nachbartisch sitzen, die sich interessiert erkundigt hatten über den bisherigen Fahrweg und wo dieser denn noch entlang führen würde. Und Ihrem Kommentar, dass man schon ein wenig verrückt sein müsste für diese Art des Radfahrens, konnte ich nicht wirklich Etwas entgegensetzen.

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Nach der ungeplanten, aber dafür umso schöneren Pause stieg ich wieder auf das Rad und sah von hinten Andi und Mathew heranfahren. Zu Dritt absolvierten wir die restlichen 25 Kilometer zur vierten Kontrollstelle des Tages nach Kienitz (242km). Kurz ein Foto vor dem historischen Relikt aus den Kriegszeiten und dann hinein in die gut geheizte Stube des „Gasthofes zum Hafen“.

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Nach und nach trudelten bis zu 10 Randonneure im Gasthof ein. Merklich überfordert mit dem regen Andrang von hungrigen Radlern, meisterte die Belegschaft mit brandenburgischer Höflichkeit die Bestellflut an Bauernfrühstück, Schnitzel und Pommes. Dieses Essen war eine Wohltat und sollte eine gute Grundlage bilden für die restlichen 160 Kilometer.

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Mittlerweile war es nicht mehr zu schaffen, pünktlich den Anstoß in Angermünde zu sehen. Eine Planänderung musste her. Ich machte mich alleine auf den weiteren Weg nach Hohenwutzen. Dieser kleine beschauliche Ort lag ungefähr 30 km vor Angermünde und hatte unter anderem eine kleine Gaststätte. Fast die komplette Strecke von Kienitz nach Angermünde führte nordwärts entlang der Oder, natürlich immer noch mit teils heftigem Gegenwind. Aber der dritte Höhepunkt des Tages war es, teilweise auf der Deichkrone entlang zu fahren, über einem die dunklen Wolken vorbeiziehen zu sehen und in der westliche Ferne die letzten Sonnenstrahlen zu erblicken. Malerisch und so gleich festgehalten in digitaler Form.

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In Hohenwutzen angekommen, musste ich zunächst nachfragen, ob es denn möglich sei Fußball zu schauen. Die freundliche Bedienung meinte zwar, dass Keiner in der Gaststätte fussballinteressiert sei, aber sie mir doch liebend gerne den Fernseher anmachen würde. Ich habe mich artig bedankt mit Umsatz, und habe pünktlich zum Auflaufen der Mannschaften vorm Fernseher gesessen.

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Ich weiß nicht, ob es am eher ereignislosen Spiel in der ersten Halbzeit lag, oder doch daran, dass mein Kopf mittlerweile sehr leer war. Ich hatte überhaupt keine Lust das Spiel zu verfolgen und habe nur an die noch bevorstehenden 125 km in Dunkelheit gedacht. Also habe ich mich nach der ersten Halbzeit auf den Sattel zurückgeschwungen und bin weiter gefahren.

In Angermünde gegen 22.30 Uhr angekommen, habe ich bei der Einfahrt auf das Tankstellengelände auf dem dort vorhandenen Fernseher jubelnde rote Hemden wahrnehmen können. Somit war klar wer gewonnen hatte, sodass ein Motivationsschub durch den Gewinn der für mich richtigen Mannschaft leider ausblieb.

Eine halbe Stunde später ging es für mich alleine weiter. Eingedeckt mit weiteren drei Liter Wasser und zwei Dosen stark koffeinhaltiger Brause gegen die Müdigkeit. In das 50 Kilometer entfernte Liebenwalde führte der Weg durch die Nacht, durch den Regen, über teilweise schlechte Straßen: durch die wohl wunderschöne Schorfheide. Doch im Dunkeln war von der Herrlichkeit nicht viel zu sehen. Nur sehr wellig war es. Also hoch und runter. Das letzte Foto dieses Brevets war dann auch in Liebenwalde. Da zu dieser Uhrzeit, es war 01:45 Uhr, keine Geschäfte in der Gegend mehr offen waren, war es somit nötig ein Foto von sich und dem Ortsschild zu machen, damit man nachweisen kann, auch die letzte Kontrollstelle (357 km) vor Berlin angefahren zu haben. Hier ist es.

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Auch wenn ich fröhlich ausschaue, so war es eine Grenzerfahrung diese letzten 100 Kilometer von Angermünde nach Berlin. Kaum noch Kraft im Körper, einsetzende Müdigkeit und regelmäßiges Wasserlassen sorgten für halbstündige Pausen. Die Pausen am Straßenrand in völliger Dunkelheit und das Wahrnehmen von Geraschel und Geräuschen aus den angrenzenden Wäldern waren aber auch ein unvergessliches Erlebnis. Ach so. Wildschweine, Rehe und Hasen waren natürlich auch zu sehen und zu hören bei der „wilden“ Fahrt durch die Nacht.

Gegen halb vier erreichte ich die nördliche Stadtgrenze von Berlin und vor den letzten zehn Kilometern gab es nochmal einen doppelten Espresso an einer geöffneten Tankstelle. Herrlich. Endlich gegen vier Uhr am Startpunkt wieder angekommen, habe ich wohlwollend vernommen, dass Wolfgang noch dort saß. Wir haben uns über die Erlebnisse des Tages ausgetauscht und uns schon auf das bevorstehende 600er Brevet gefreut. Wolfgang in Berlin und ich werde über Pfingsten die Randonneure aus dem Hamburger Raum kennenlernen.

http://www.strava.com/activities/142728145

 

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Und aus den von Marteria besungenen lila Wolken wurde leider nichts! Das Wetter war einfach zu schlecht. Vielleicht beim nächsten Mal. In diesem Sinne.

Keep Riding!

Soundtrack zum Blog-Eintrag:
Angus & Julia Stone – A Book Like This

2 Gedanken zu „Brevet – Vierhundert Kilometer 2014 – „Wir bleiben wach bis die Wolken wieder Lila sind!“

  1. Andy

    Hi Rene, schöner packender Bericht. Bei dem Fußballspiel hättest ja doch noch bei uns bleiben können. Haben noch den Rest der zweiten Halbzeit in Angermünde in der Tanke geschaut und sind dann zum Ende der regulären Spielzeit wieder los. Mit dem Regen hatten wir auch Glück und als Sechsertruppe fuhr es sich auch angenehmer durch die Nacht so daß wir um 2Uhr wieder zurück waren.
    Viel Spaß beim 600er wünscht Andy.

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    1. reneheiden Autor

      Hey Andy, Danke! Das nächste Mal wird das Spiel zur Nebensache! Wie geschrieben, war mein Kopf zu diesem Zeitpunkt schon längst leer 😉 Euch auch eine schöne Ausfahrt an die Ostsee über 600km. Die Strecke meines 600er erfahre ich am WE. Bin gespannt und werde berichten. Bis die Tage und allzeit sichere Fahrt. Ciao.

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